1965 |
born in Germany |
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1989-1996 |
Akademie der bildenden Künste, München, Prof. Helmut Sturm, Meisterschülerin, Diplom |
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1999-2009 |
lived and worked in London |
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2009-2021 |
Heidenheim, Germany |
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since 2021 |
Bremen, Germany |
Einführungstext von Cornelia Kleÿboldt im Katalog "Thank you for the flowers"
The only thing worth fighting for
Der Kunst von Johanna Bauer sprachlich zu begegnen, bedeutet, sich mit Werken auseinanderzusetzen, die prinzipiell sprachentzogen sind. Es gibt kein direktes sprachliches Gleichnis, für das, was in ihren Bildern wirksam und bedeutsam ist.
Diese Begegnung bedeutet auch Begegnung mit künstlerischer Freiheit, mit Offenheit, gebunden an das Empfinden von Stimmigkeit.
Es geht um Formen und Strukturen, um deren Platzierung und Verhältnisse zu anderen Formen. Es geht um Größe, um Beschaffenheit durch Material und Machart, um Farbigkeit. Es geht um eingegangene und entstehende Verhältnisse.
Es geht um Orte, um Situationen, die erzeugt werden, um den Ausdruck, der ausgelöst wird. Um Witz, Geist, Humor, ein Gefühl, ganz leicht oben und darunter tiefer Schmerz. Manches lauert und schweigt, so wie die Behauptung von Ohnmacht und Macht.
Es zeigen sich sowohl Haltung, mit der erfahren wird, als auch Haltung, mit der Verhältnisse aufgezeigt und im Bild verändert werden können.
Die Betrachtung der Arbeiten von Johanna Bauer führt nicht selten, geradewegs von ihr weg, hinein in den Dialog mit Arbeiten anderer Künstler oder anderen Quellen, führen hinein in die Auseinandersetzung mit dem Werk von Malern, Musikern, Textern, in die Wahrnehmung politischer oder menschlicher Ereignisse und Handlungen, historischen Zeitgeschehens, so wie es sich medial in einem Wort, Schriftzug, Satz oder Bild niederschlägt oder in die bildgerecht verwendeten Umrisse eines anderen Landes, eines fremden Kontinents.
Das Zitieren in den Arbeiten der Künstlerin bildet Anhaltspunkte, Netze und Allianzen mit Anderen und Anderem. Weist einen Weg, weg von der eigenen Person, in die Bildung von Gemeinschaftlichem, stärkt, was für richtig und wichtig befunden wird, knüpft an, erobert, eignet sich an und entwickelt weiter.
Die entscheidenden Momente finden jedoch in ihrem „Mastermind“ statt, in der Wahrnehmung der Künstlerin, die die Wahrnehmung von Betrachtern und Beobachtern miteinschließt. Der Betrachter ist im Bild. Auch die Künstlerin ist zunächst Betrachter und Beobachter. Lange bevor sie in ihr eigenes Schaffen eingreift. Johanna Bauer kann warten.
Das Verhältnis der Künstlerin zu ihrer eigenen Arbeit und zur Arbeit Anderer ist grundsätzlich offen und berührbar. Sie fühlt sich herausgefordert, angesprochen, begegnet, sucht den Dialog, knüpft an, übertrumpft, streichelt über ein Fundstück, beobachtet und will auch, will es vielleicht sogar noch besser. Da geht es um Verstehen und Verstanden werden.
„Wozu sollte ein gutes Bild da sein, wenn man sich nicht damit auseinandersetzt?“ (Zitat Johanna Bauer)
Kunstwerke sind vor allem Ausdruck und Umgang mit Wirklichkeit, wenn nicht gar eine Reparatur der Wirklichkeit mit so genannten „ästhetischen“ (gerne auch „unästhetischen“) Mitteln. Sie zeugen von der Erforschung wahrgenommener Wirklichkeit und von deren Unterwerfung in künstlerische Gesetzmäßigkeiten.
Kunstschaffende sind als Erlebende Teil der Wirklichkeit. Als im Bildwerk Arbeitende setzen sie sich mit der Umwertung des Erfahrenen in einen ästhetischen Gegenstand um.
In diesem Sinne ist die Auseinandersetzung von Johanna Bauer einerseits eine mit ihren eigenen Rollen und Erfahrungen im Leben und zum anderen mit künstlerischen Antworten anderer, in denen sie liest und schöpft und erfährt, wie in einem offenen Buch, aus geteilter Erfahrung und Verständnis. Aufgenommene Zitate nehmen in ihrem Werk eine zentrale Stellung ein, sind spielerischer, facettenreicher Dreh- und Angelpunkt ihrer eigenen Arbeit.
Die verwendeten bildnerischen Mittel sind sehr einfach, stehen allseits zur Verfügung: schneiden, kleben, drucken, anstreichen, abklatschen, malen. Sie verwendet, nutzt, kombiniert und verwertet Leinwand, Stoffreste, Kleidungsstücke, Zeitungspapier, Holzplanken und vorgefundene räumliche Gegebenheiten und natürlich Farben.
Es geht um das, was in der Wahrnehmung geschieht. Kunstwerke sind eine Möglichkeit, diese Vorgänge sichtbar zu machen und eine neue Wahrnehmung als Werkzeug und als Möglichkeit in Gang zu setzen.
Ich habe Johanna Bauer im Verlaufe der Arbeit an diesem Text über die Distanzen hinweg, zwischen München, Heidenheim, London und Bremen, immer wieder getroffen und wir haben Zeit miteinander verbracht. Oft haben sich der Einfluss ihrer Werke und unsere Begegnung nicht voneinander trennen lassen. Eher im Gegenteil. Die zunächst äußere Befragung schlüpfte auch unter meine Haut und wurde zu einem Begleiter, den ich nun nicht mehr missen möchte.
„Wozu sollte ein gutes Bild da sein, wenn man sich nicht damit auseinandersetzt?“ fragt sie und ich möchte hinzufügen: Wozu sollte die Welt in ihren nicht nur ästhetischen Erscheinungen denn da sein, wenn man sich mit ihren Erscheinungsweisen und darüber hinaus mit der Begegnung ihrer Konfliktherde und ihrem Leid nicht konfrontiert? Nicht bereit ist, zur Begegnung mit dem Schatten und mit dem Leid? Und nicht bereit ist zur Notwendigkeit, nicht bereit ist, mit den Mitteln, die zur Verfügung stehen, mit den einfachsten, demokratischsten, allseits verfügbaren, mit den Mitteln, für die wirklich niemand ein Genie sein muss, mit den Mitteln, von denen so ziemlich jeder Mensch irgendeines ergreifen könnte, um die Not, die Null, das Schwarze, das Schwere, das Loch, die Gebrochenheit ins Angesicht zu nehmen, ihr zu begegnen und ihr die Offenheit, die Betrachtung, die Akzeptanz und eine Antwort zu geben? Oder eben einen Augenblick der Wahrnehmung, der Ruhe und Gelassenheit, wie Bob Dylan in „A hard rain is gonna fall“ singt. Und bevor er in diesen Ozean versinkt, kennt er das Lied, das er singt.
In allen Werkgruppen, die in diesem Katalog, dieser Werkschau von Johanna Bauer, vorgestellt werden, ist dieser Bezug zur „Konfrontation mit Welt“ und nicht nur einer Welt im Spiegel verschiedener ästhetischer Ausdrucksformen, sondern auch mit unmittelbaren Teilen, Gegenständen, Objekten, Fundstücken von Welt, direkten Zitaten von Welt gegeben.
Die Künstlerin verwendet das Bild in der Zeitung, das in besonderer Weise Zeitgeschehen, konkrete Situationen menschlicher, kultureller, politischer Krisenherde, Kulminationspunkte anzeigt oder dafürsteht. Sie verwendet Liedtexte, die die Konfrontation, das Erleben tiefsten menschlichen Leides mit der Welt, mit anderen, mit Macht und mit sich selbst aufgreifen, dem Anblick, dem Angesicht dieses Leides standhalten und Einlass in ihre persönliche Erfahrung gewähren. Sie nimmt diese Bilder, die Zusammenhänge in denen sie stehen, wahr und auf, um dann einen Stift in die Hand zu nehmen, den Pinsel in Farbe einzutauchen, ihre Stimme in Lettern und Zitaten zu erheben und Handlungen zu vollziehen, die diese Konfrontation nicht nur aushalten, sondern darüber hinaus deren Not durch die Verlagerung in ästhetische Setzungen, in ästhetische Gesetzmäßigkeiten, wenden können.
Die Arbeit von Johanna Bauer versteht sich als Ausdruck von Notwendigkeit im wörtlichen Sinne. Es geht um Verwendungen, die es nicht bei der Not belassen und ihr auch nicht aus dem Wege gehen, sondern dieser begegnen, um ihnen im eigenen künstlerischen Kontext, mit dem eigenen Werkzeug, Mitteln und Möglichkeiten, eine andere, eine ästhetische Wendung zu geben.
Die Verwendung von Zitaten, Schriftzügen, hingekritzelten Liedzeilen, Abdrücken von Gegenständen, die direkte Verwendung von Gegenständen im Bild, die Verwendung der Umrisse eines Landes, eines Kontinents, eines Liedes und deren Verwandlung im Rahmen der künstlerischen Arbeit, sind das Gegenteil von Weltflucht. Sie sind die Fähigkeit zur Aufnahme, zur Begegnung, zur Auseinandersetzung mit Welt – Welt hier gemeint als jede Form der Begegnung im Äußeren so wie im Inneren, im materiellen Sinne, wie im Sinne von Gedankengut, in Gestalt konkreter Orte, konkreter Bilder, Text oder Lied gewordener menschlicher Erfahrung.
Johanna Bauer erscheint als einfache Arbeiterin im Bild und zugleich als Mastermind, der ihr Tun und auch das Tun anderer sehr genau erfasst, oder um es mit den Worten Bob Dylans zu sagen: Sie kennt das Lied, das sie singt.
Ihre Arbeit versteht sich als Dienst an der Bildgesetzlichkeit. Die Künstlerin ist bereit, mit verfügbaren, einfachen Mitteln im Angesicht offensichtlicher Not, diese im ästhetischen Kontext zu wandeln. Entscheidend ist die hohe Bewusstheit ihres Tuns, der gegenüber die von ihr gewählten Mittel selbst nur wenig „künstlerisch“ im traditionellen Sinne erscheinen.
Es genügt ein ausgeschnittenes Bild, wenn man es nicht selber malen kann, doch entscheidend sind Ort und Positionierung, Umfeld und Begegnung mit anderen Elementen einer Arbeit, das Zusammenkommen und das Beobachten, was im neuen Zusammenspiel geschieht.
„The only thing worth fighting for” - Was sollte das sein? Es steht nunmehr als Schrift im Raum, wird mit farbigen Lettern in einen Dachraum geklebt, Wand und Boden einbegreifend, die Schrägen von Holzdielen, von denen der Lack abplatzt, zwischen zwei Gaubenfenster geschrieben, in die das Licht einfällt, als leuchtende Botschaft, die den vorgefundenen, exakt wahrgenommenen Raum zu einem ästhetischen umwertet.
Entstanden ist ein Ort an dem sich nun jeder Betrachter, als ein dem Kunstwerk unterworfener und als ein Teil dieser Realität, zwischen wohlgesetzten Lettern, in Schönheit wiederfindet.
Johanna Bauer erreicht die Aufhebung von Grenzen eines hier ästhetischen, künstlerischen und dort nicht mehr ästhetischen, künstlerischen Raumes. Es geht ihr um die Einverleibung des „nicht-per-se“ ästhetisch gemeinten in die Ästhetik.
Das Begreifen der Zeichenhaftigkeit all dessen, was uns umgibt und das unwillkürliche Betrachten, das sich gesetzten Lettern, ihrem Sinn und ihrer Zeichenhaftigkeit gegenüber einstellt, bedeutet Zuwendung statt Abkehr, Begegnung statt Ablenkung. Es bedeutet auch eine Ermutigung, dass jedem von uns die Mittel zur Verfügung stehen, selber zu leben. Selber zu leben, statt sich in die permanente und bewusstlose Aufnahme von Bildern und Informationen zu begeben, die letztlich der Ablenkung dient, nicht aber einem Ort, an dem Begegnung, Begreifen, Gemeinsames oder gar Heilsames stattfinden können.
Wozu sollte ein gutes Bild da sein, wenn man nichts damit macht? Die Bilder von Johanna Bauer beziehen sich auf Werke anderer Künstler, auf Lösungen, die diese gefunden haben, sie beziehen sich aber auch auf Gegenstände, Kunstwerke aus den Bereichen von Musik und Textdichtung, auf Inhalte aus Zeitungen.
Ihre Arbeiten laden zur Mitwirkung ein, ermutigen ihrerseits zur Begegnung und sie nutzen verfügbare und bekannte Zeichen, sind so wenig elitär, dass man es fast nicht glauben kann, dass das „Kunst“ sein soll.
Es sind bildnerische Werke, die sich mitunter bildnerische Gesetze zu Nutze machen – Kontraste von hell und dunkel, oben und unten, links und rechts, von Zeichnung und Malerei.
Erschütternd grenzenlos sind Verbindungen, Mittel und Zusammenhänge die Johanna Bauer nutzt. Sie verfügt über ein extrem geschultes Auge, weiß genau um die beste Positionierung, den perfekten Zusammenklang, wo und wie sie das Gesamte zum Schwingen bringen kann. Und das ist es auch, was sie in den Werken anderer Künstler beobachtet, in deren Positionierung von Farbe, Dosierung von Farbtönen, Struktur, Dichte, Textur, Konsistenz und Formzusammenhang.
Johanna Bauer kennt in ihrer Auseinandersetzung keine Grenzen und ihre Bildwerke kennen keine Grenzen, prinzipiell nicht. Sie laden ein, Fäden weiter zu spinnen, Ideen aufzugreifen, das Hellblau und Sonnengelb, das Tiefrot und Dunkelgrün des eigenen Lebens zu finden und es zur rechten Zeit und am rechten Ort zu positionieren.
Sie arbeitet mit Monotypie, einem Druckverfahren, bei dem ausgeschnittene, mit Farbe bestrichene Schablonen einmalig auf einen Bildträger abgedruckt werden, mit der Collage von Stoffresten, mit handgeschriebenen oder gedruckten Lettern, mit Liedtexten deren Stimmfarben und Melodieführung sich an Bildgründen anlehnen wie Noten sich in Zeilen hängen.
Die Aneignung des Vorgefundenen, das „man-kann-mit-ALLEM-malen“ und zugleich „das-eigene-grenzenlos-zur-Verfügung-stellen“, der Dialog mit anderen, die eigene Existenz und die anderer zeitübergreifend überschreitend, dienen dazu, an einem Gefüge, an einem Bildgefüge zu arbeiten, in dem Not mit ästhetischen Mitteln gewendet und Schönheit im Sinne von Vollständigkeit, Harmonie, Sättigung, Frieden und Zufriedenheit allseits schaffbar und verfügbar ist.
Und da bleibt keine Traurigkeit dieser Welt außen vor, kein Konflikt, keine Not, kein Krisengebiet, kein Kontinent, keine Form, keine Farbe, kein Material.
Da ist grundsätzlich alles brauch- und machbar. Es geht um eine grenzenlose Fülle, die für alle verfügbar ist. So sagte Mirò: „Der Teufel, dem man eine Gestalt gibt, wird beherrschbar.“
Zentrales Thema der Malerei von Johanna Bauer ist Zitieren und Einverleibung von Wirklichkeit im Bildwerk. Gegebenheiten der Wirklichkeit werden in Erforschung und Beantwortung durch ästhetische Gesetzmäßigkeiten überführt. Das Kunstwerk als Ausdruck gemeisterter Wirklichkeit.
Das Zitat, Aufgegriffenes und Wiedergegebenes ist die Schnittstelle zwischen hier und dort, ist die unmittelbare Verbindung zwischen Betrachter und Bild. Der überführte Gegenstand, das Zitat, wird in das ästhetische Empfinden, in das „Sehen“, in die gesehene Weltordnung der Künstlerin überführt.
„Ich will schon mal was sagen“ sagt sie und lässt Zitate sprechen und tritt als Künstlerin auf, als Mastermind und Verstand hinter all den verwendeten Spielfiguren, Akteuren, die an ihrer Statt die Leinwand einnehmen.
Arbeiten von Johanna Bauer sind nur in einer grundlegenden Offenheit zwischen Kunst und Wirklichkeit, zwischen Aufgreifen und Wiedergeben zu verstehen.
Ob es dabei um Berichte aus einer Tageszeitung geht, um das Aufgreifen eines Begriffs (Arab uprising), einer Schlagzeile, eines Songtextes (It’s not too late), der Verwendung einer bestimmten Emotion im Bild, der Form eines Schriftzuges, das Verwenden einer Form, eines Kontinents (Afrika, Irland), einer malerisch formalen Beschaffenheit (Scullys Bildränder), einer räumlichen Gegebenheit (Werkzeugwand in einer ehemaligen KFZ Werkstatt – in der sich von der Künstlerin verwendete Befragungen und Arbeitsweisen als „ready made“ wiederfinden), eines Märchens (Alice), die Verwendung von Gegenständen, trockener Blumen oder der Blumen von Andy Warhol, die bestimmte Eigenschaften haben, die Künstlerin durch deren Aufgreifen, Bearbeiten, Positionieren hinterfragt. Und sich zu gegebener Zeit für die Schönheit des Vorgefundenen bedankt:
Thank you Andy, thank you for the flowers.
© Cornelia Kleÿboldt, M.A.
2019
www.cornelia-kleyboldt.de
Rede von Barbara Reil, Städtisches Museum Lindau, anlässlich der Eröffnung der Ausstellung substance and shadows in der Galerie Plattform 3/3
Johanna Bauer
SUBSTANCE AND SHADOWS
Großformatige Leinwandbilder in starken Farben, die den Betrachter schon aus der Ferne zu sich rufen; oft herausfordernd in ihrer Materialität – hier hängt ein Abendkleid im Bild, dort setzen Holzlatten (die Reste einer alten Haustür) einen fast schon brachialen Akzent unter ein zartes Gewebe aus Buchstaben und Spitzenbordüren. Immer wieder sind Schriftelemente in die Darstellung integriert, es sind Textfragmente nur, aber – sofern sie lesbar sind – mit starkem Appellcharakter: „let me out/ set me free“ oder „this land is my land“. Dazu fragilere Blätter mit bisweilen kaum erkennbaren Motiven – die Monotypien. Sie formieren neben den Gemälden und Materialcollagen eine weitere markante Werkgruppe im Schaffen der Künstlerin Johanna Bauer, die hier in der Galerie der Plattform 3/3 einen kleinen Ausschnitt ihrer Produktion der letzten Jahre zeigt.
Beim Versuch einer Einteilung nach Themen und Motiven, fällt auf, dass es durchaus klassische Sujets sind, die immer wiederkehren: Landschaft und Blumenstillleben etwa, daneben literarisch inspirierte Darstellungen und solche mit sozialkritisch-politischer Intention.
Gleich am Eingang empfängt uns eine Arbeit von 2011, die Bauer auf ihrer Homepage in der Kategorie „lyrical“ (poetisch) führt, eine Zuschreibung, die unmittelbar einleuchtet: „Alice's adventures underground“ ist benannt nach der Erstausgabe des Kinderbuchklassikers von Lewis Carrol, der als „Alice im Wunderland“ Berühmtheit erlangte und vom Zeitpunkt seiner Veröffentlichung Mitte des 19. Jahrhunderts an zahlreiche bildende Künstler beschäftigt hat. Sie alle – und das schließt Johanna Bauer mit ein – haben Carrols Text dabei jeweils auf ihre ganz eigene Art und Weise gelesen: Für die Surrealisten war die märchenhafte Erzählung Sinnbild ihrer eigenen Suche nach dem Phantastischen; in den 60er und 70er Jahren – man denke an Sigmar Polkes psychedelische Alice-Version – verstand man sie als literarischen LSD-Trip (wir erinnern uns, dass Alice durch den Konsum wundersamer Substanzen, Elixiere und Pilze abwechselnd größer und kleiner wird).
Und Johanna Bauer? Ihre Lektüre der Alice-Geschichte ist um nichts weniger bezeichnend für ihr Schaffen: Sie führt mit dem ersten Satz des Romans in die Bilderzählung ein (er wird oben in der originalen Typografie zitiert), heftet ein weißes Kleid an die Leinwand, das die Titelheldin symbolisch vertritt, und montiert ringsum Zeitungsausschnitte aus der kubanischen „Granma international“. Die Artikel stammen von 2010; sie sind aktuell, berichten aber von einem Ereignis, das mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegt – die alte Geschichte vom Kampf des Revolutionsführers Fidel Castro ist durch ihre ständige Wiederholung und die Glorifizierung ihres Helden längst selbst zu einer Art Märchen geworden.
Die Erkenntnis, dass wir in einer verkehrten Welt leben, in der auch das, was wir für Realität halten, sich bei näherer Betrachtung als Fiktion erweisen kann, ist eine wesentliche Komponente von Carrols Roman und hier die Botschaft von Johanna Bauers Bild.
Im denkbar größten Gegensatz zu den waffenstarrenden Revolutionären, die auf den alten Fotos zu sehen sind, steht das unschuldige Weiß des Kleides: Im Buch ist Alice diejenige, die sich mit den unterdrückten Untertanen der tyrannischen Herzkönigin solidarisiert. Insofern sich das Gemälde somit als Metapher des Protests deuten lässt, passt es ebenso in die zweite Kategorie, die Johanna Bauer für ihre Arbeiten anbietet: „politisch“ (political).
Tatsächlich geht es in ihren Bildern oft um Aufstand, Protest und Revolte – sei es gegen politische Missstände oder überkommene gesellschaftlich Normen. Das gilt etwa für die „Arab Uprisings“, die sich auf Ereignisse des arabischen Frühlings beziehen: Auch für „Arab Uprisings 1“ hat Bauer Material aus der aktuellen Tagespresse verwendet. Das Foto aus der Süddeutschen Zeitung zeigt eine Demonstration in Tunesien. Eine aufgebrachte Menge protestiert gegen die Schließung eines Kinos, das westliche Filme im Programm hatte – ein starkes Bild, das für sich spricht. Um zu verstehen, um was hier geht, braucht der Betrachter gar nicht zu wissen, was der arabische Schriftzug bedeutet, der auf dem Transparent der Demonstranten steht und unten noch einmal vergrößert ins Bild projiziert wird, nämlich: „Freiheiten“. Beide – Zeitungsausschnitt und Inschrift – sind dabei integrale Elemente der Gestaltung: Das Foto wird eingebunden in eine Reihe rautenförmiger Kacheln, die arabische Fliesenmuster assoziieren. Und der Schriftzug dient vor den kompakten Farbflächen des Hintergrunds als grafischer Akzent. Dieses Bild hat große sinnliche Kraft – deshalb sind wir bereit es anzuschauen und länger davor zu verweilen, als etwa vorm Schaukasten einer Tageszeitung.
Eine entscheidende Rolle spielt Schrift auch in den den „landscapes“: Die Landschaft – im Sinne einer natürlichen Geländeformation – ist dabei nur angedeutet durch braune Flächen, saftiges Wiesengrün, Vertikalen, die Baumstämme assoziieren. Welche Gegend hier gemeint sein soll, können wir nur ahnen. Aber wir lesen „this land“ und sofort ergänzen wir in Gedanken: „is my land“ und/oder auch „is your land“ und „was made for you and me“ – nach dem bekannten Song von Woodie Guthrie. Manchmal braucht es nicht mehr als zwei oder drei Wörter, um einen ganzen Kontext aufzurufen. Es geht hier um Fragen wie: Wo bin ich zu Hause? Was ist meine Heimat? Fragen, die sich die Künstlerin selbst stellte, als sie nach zehn Jahren in London nach Deutschland zurückkehrte und sich auf der Schwäbische Alb niederließ. Tatsächlich stammen die Farben und Motive der „This land“-Serie von hier.
Wenn wir nun weiterziehen auf unserem gedanklichen Rundgang durch die Räume der Galerie und Johanna Bauers Bildwelten, verlassen wir den Bereich der Malerei (im engeren Sinne) und großen Formate und gelangen mit den „botanicals“, d.h. den Blumenbildern und Stillleben, zum zweiten Medium, dessen sich die Künstlerin bevorzugt bedient: der Monotypie. Bei diesem weniger gebräuchlichen Druckverfahren wird das Papier auf eine mit Linoldruckfarbe eingewalzte glatte Oberfläche gelegt; wenn die Künstlerin nun mit der Spitze eines Stifts oder mit den Fingern auf die Rückseite des Papiers Druck ausübt, wird es vorne an der jeweiligen Stelle Farbe annehmen.
Wie der Name schon sagt, erhält der Drucker jeweils nicht mehr als EINEN EINZIGEN Abzug pro Platte – eine Regel, über die Bauer sich immer wieder hinweggesetzt hat: Bei den Blumenbildern hat sie teils mehrere Drucke von einer Platte genommen, mit dem Ergebnis, dass die Farbe von Druck zu Druck blasser wird und das Motiv allmählich verschwindet – ähnlich wie die vertrockneten Ranunkeln, die zwei Jahre lang im Atelier der Künstlerin herumstanden und nun auf einigen Blättern der Serie zu sehen sind. Hierin könnte man durchaus einen sinnfälligen Bezug zur möglichen Bildaussage erkennen: Mit den Blumen greift Bauer ein klassisches Vanitas-Motiv auf; sie stehen als Inbegriff flüchtiger Schönheit in der Malerei seit jeher sinnbildlich für die Vergänglichkeit allen irdischen Lebens und die Hinfälligkeit der menschlichen Existenz. Bei Johanna Bauer verschwindet das Motiv selbst: es löst sich im Verlauf des Schaffensprozesses immer weiter auf, bis es sich – stellenweise – nur mehr erahnen lässt.
Teils lassen die Blumenbilder übrigens an einen großen Ahnen aus der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts denken, namentlich an Andy Warhols „Flowers“-Serie mit ihren in grellen Farben leuchtenden Blüten vor schwarzem Untergrund. „Dear Andy, thank you for the flowers“, heißt es einmal in einer direkten Referenz auf den Pop Art-Künstler.
An Wahol lassen auch die Monotypien der Kleinserie „Lawyers Protest in Uganda“ denken: Seine „Little Race Riot“-Bilder von 1964 basieren auf einem körnigen Zeitungsfoto – ein Dokument der brutalen Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten im Zuge der Anti-Apartheids-Bewegung. Der Künstler hat die Aufnahme vergrößert und vervielfältigt, um die Abzüge dann unterschiedlich einzufärben und zusammenzustellen. Das ist dem, was Johanna Bauer mit den Bildern vom Protest der Rechtsanwälte in Uganda gemacht hat, in formaler Hinsicht zunächst einmal gar nicht so unähnlich.
Doch in der Tat sind die Unterschiede fundamental: Der Siebdruck, für Warhol Medium der Wahl, ermöglicht dem Künstler die nahezu unbegrenzte Reproduktion seiner Arbeiten im Sinne einer fast fabrikartigen Massenfertigung. Hingegen ist jede Monotypie ein Unikat. Bei Johanna Bauer ist es gerade nicht die massenhafte Vervielfältigung, sondern der gestalterische Prozess, der im Vordergrund steht: Beim Drucken im Monotypie-Verfahren ist der Zufall Co-Autor des Künstlers. Was und wie stark sich etwas auf der Vorderseite des Blattes abdruckt, ist nur bedingt kontrollierbar. Die Bilder verselbstständigen sich – Linien laufen weich aus und verschwimmen, unbeabsichtigte Farbschatten legen sich aufs Blatt. Die Künstlerin reagiert auf die vorgefundenen Zufallsstrukturen und interpretiert sie neu.
Für diesen Prozess steht der Ausstellungstitel: „substance and shadows“ – „Substanz und Schatten“ also hat die Künstlerin ihre Schau benannt. Das Begriffspaar entstammt einem Lied, dem Bauer einige der hier präsentierten Arbeiten gewidmet hat: Die drei großformatigen Monotypien mit dem Titel „Crucify your mind“ beziehen sich auf den gleichnamigen Song des US-amerikanischen Folk-Sängers Sixto Rodriguez. „Giving substance to your shadows“ heißt es im Text, der in „Crucify your mind“ (Variation 1) – zwar nicht durchgehend lesbar – aber doch nahezu vollständig wiedergegeben ist.
Was das für ihre Kunst bedeutet, hat Johanna Bauer selbst so erklärt: „Bei meiner Vorgehensweise wirft das Gemeinte, die Substanz, Schatten“, so schreibt sie, und weiter: „die Schatten werden im weiteren Prozess zum Gemeinten, zu Substanz.“
Von hier aus eröffnen sich weite Assoziationsspielräume: „Substanz“ und „Schatten“ – das lässt sich noch wörtlicher nehmen in Bezug auf die Materialität, die Textur und Struktur von Bauers Kompositionen: Als Gegensatzpaar spiegelt es auch den Kontrast der unterschiedlichen Werkstoffe wider, die in den Collagen zum Einsatz kommen.
Die „Crucify your mind“-Bilder sind schöne Beispiele dafür: Holzlatten treffen auf zarte Spitze, Papier- und Stoffstreifen werden wechselweise miteinander vernäht. Aus der rhythmischen Abfolge entsteht eine visuelle Partitur, eine Komposition aus Text und Textil.
So ist Bauers Kunst vom freien schöpferischen Umgang mit unterschiedlichen Techniken, Medien und Materialien geprägt: Sie webt und knüpft mit Farbe und Schrift, und malt mit Stoff (dass das möglich ist, ist eine Erkenntnis, die die Künstlerin ihrer Zeit in London und dem Besuch der afrikanischen und indischen Stoffläden dort verdankt). Ebenso werden klassische Genres und Sujets – wie Landschaft, Stillleben, Porträt – neu interpretiert und in unerwarteter Weise rekombiniert.
Diese Beobachtung führt uns noch einmal an den Anfang zurück, zu Lewis Carrol nämlich und seiner absurden Kindergeschichte von der kleinen Alice im Wunderland: Letztlich geht es um die geistige Offenheit, Dinge in neuer Beziehung zueinander denken und sehen zu können. Ich meine, das lässt sich auch für die Kunst von Johanna Bauer so sagen.
Barbara Reil
Februar 2016
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